Dem wissenschaftlichen Ansatz nach geht es bei der Einordnung von Zahnarztangst zunächst einmal drum, zu erforschen, ob es sich um eine von außen erzeugte Angst handelt oder ob die betroffene Persönlichkeit grundsätzlich Ängste in sich trägt, die Dentalphobie begünstigen. Das „Seattle-System“ geht von vier Kategorien aus, die der Zahnarztangst zugeordnet werden können:
Um das „Seattle-System“ auf seinen Wahrheitsgehalt zu untersuchen, wurden zahlreiche Erhebungen vorgenommen, von denen eine Methodik allerdings hervorgehoben werden kann, weil sie sehr prägnant und aussagekräftig ist. Bei dieser Methode werden Patienten lediglich vier Fragen gestellt, die darauf abzielen, die Intensität der Angst zu ergründen. Sie hilft zudem, die Motivation hinter der Angst besser zu verstehen. Für jede Frage sind fünf Ausprägungen vorgesehen, der Befragte muss sich für jeweils eine entscheiden. Das Ergebnis lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Die Angst der Typs I kann auf eine grundsätzliche Skepsis zurückgeführt werden, die auf Unwissenheit darüber, was passiert, fußt.
Typ II neigt grundsätzlich zu Panikattacken und bildet in seinem Kopf katastrophale Szenarien, die er auf sich zukommen sieht. Bei ihm kommt also zur Dentalphobie eine generelle Angst vor unschönen Dingen, die ihm widerfahren könnten.
Typ III reagiert auf viele Situation im Leben, die mit Stress verbunden sind, ängstlich. Der Gang zum Zahnarzt gehört daher zu einem Gesamtbild, das den Betroffenen als Persönlichkeit prägt.
Typ IV gehört fraglos in die Kategorie von Menschen, die in ihrem Leben traumatische Erfahrungen bei Zahnarztbesuchen gemacht haben. Das Misstrauen gegenüber Zahnärzten sitzt tief und ist nur sehr schwer zu durchbrechen.
Das „Seattle-Modell“ ist längst nicht das einzige, das sich mit dem Thema Zahnarztangst befasst hat. So geht das Modell nach Reiss (1987) davon aus, dass es ein Erwartungsmodell gibt, das als Basis die Empfindungen Angst, Furcht und Panik hat. Genau genommen allerdings spricht Reiss nur von Furcht, die drei Formen nennt er Empfindlichkeiten. Zum einen nimmt Reiss die Furcht vor Verletzungen an, zum anderen die Furcht vor der Angst an sich. Drittens spricht er von der Furcht vor negativer Beurteilung. Das Reiss-Modell belegt, dass es gewissermaßen innere und äußeren Gründe für die Dentalphobie gibt. Ähnlich wie im „Seattle-System“ kann Zahnarztangst also aufgrund von zurückliegenden Ereignissen entstehen oder weil die Persönlichkeitsstruktur der betroffenen Personen zum Aufbau starker Ängste neigt.
Sehr hilfreich ist die Betrachtungsweise der Studie von Abrahamsson, Carlsson, Berggren und Hallberg und Carlsson aus dem Jahr 2002. Sie befasst sich besonders mit den Gefühlen, die sich hinter der Angst versteckt halten. Für Therapeuten, Ärzte und Zahnärzte ist dieser Ansatz eine gute Hilfestellung, um die Emotionen von Angstpatienten besser zu verstehen.
In der Studie wird davon ausgegangen, dass ein maßgebliches Gefühl beim Menschen mit Dentalphobie die Angst vor dem Autonomieverlust, also auch vor dem Verlust der Kontrolle ist. Man sieht sich der Situation hilflos ausgeliefert und bekommt so sehr starke Ängste, die bis zur Handlungsunfähigkeit führen. Gepaart mit diesen Emotionen gehen Ängste vor der körperlichen Verletzbarkeit bis hin zur Angst vor dem Tod einher.
Laut der Studie von Abrahamsson, Carlsson, Berggren und Hallberg und Carlsson liegen wesentliche Anteile für die Entstehung von Dentalphobie aber auch beim Zahnarzt. Durch die Studie fanden sie heraus, dass das Gefühl, der behandelnde Zahnarzt sei inkompetent und zeige wenig Empathie und Respekt, bei den Patienten mit Dentalphobie die Angst zusätzlich befeuern würde. Eine Erkenntnis, die sich inzwischen viele Zahnärzte zu Herzen genommen haben.
War in den 1970er und 80er Jahren Zahnarztangst noch etwas, das als „Empfindlichkeit“ oder gar „Wehleidigkeit“ abgetan wurde, haben sich speziell in den letzten 10 bis 20 Jahren erhebliche Verbesserungen erzielen lassen. Die oberflächliche Betrachtungsweise, die die Patienten nicht ernst nahm und ihnen teilweise sogar böse Absicht oder Geltungsbedürfnis unterstellte, gehört heute erfreulicherweise der Vergangenheit an.
Menschen mit Zahnarztangst hätten diese neue, zugewandte und ernstnehmende Haltung schon sehr viel früher gut brauchen können. Es gäbe dann heute sicherlich deutlich weniger Patienten mit Dentalphobie.